Schweigen
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Und plötzlich war ich still: Wie es ist, zu schweigen

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Wenn Du die Berührung mit der inneren Stille verlierst, verlierst Du den Kontakt mit Dir selbst. Wenn Du den Kontakt mit dir selbst verlierst, verlierst Du dich in der Welt

Eckard Tolle

Wie kam ich auf die Idee, zu schweigen?

„Du hast immer verrücke Ideen“ hörte ich meine Oma sagen, als ich ihr erzählte, dass ich ein Wochenende zum Schweigen in ein Ashram fahre. Ein Ashram ist, für alle Nicht-Yogis und Hobbybuddhisten, ein klosterähnliches Meditationszentrum, so Wikipedia ;). 

Aber wie kam es eigentlich zu der Idee? Ich las vor ein paar Wochen ein Buch, in dem es zum Teil übers Schweigen ging. Darin beschrieb die Autorin ihre Erfahrung über 10 Tage in der Stille. Das fand ich irgendwie spannend und der Gedanke, mal nicht zu reden liegt ja so vollkommen außerhalb meiner Komfortzone. Dennoch lies mich der Gedanke tagelang nicht los und ich wollte unbedingt wissen wie ich so eine Zeit in Stille erleben würde. 

Gesagt, getan: So fand ich ein Ashram in meiner Nähe und schon war ein Wochenendseminar gebucht. Ich finde 36 Stunden Schweigen für den Anfang waren Herausforderung genug.

Die Ankunft oder „Was zur Hölle habe ich mir dabei gedacht?“

Auf dem Weg zum Ashram war mein Kopf voller Gedanken wie „Halte ich das durch?“, „Was sind da für Menschen?“ Mein Navi wies mich an, rechts in einen Waldweg abzubiegen und mein erster Gedanke war: „So geht jeder gute Horrorfilm los, eine Frau, ein Auto und ein verlassener Waldweg.“ Aber nach ca. 500m sah ich einen Parkplatz und auch einige Menschen. Schnell wurde mir bewusst, diese Menschen leben ein ganz anderes Leben als ich. Das meine ich überhaupt nicht negativ, denn ich bin immer neugierig auf Menschen, die so ganz anders denken. Ich finde, man muss nicht alles für sich gut finden, aber die Welt durch andere Augen zu sehen, ist immer eine Bereicherung.

Nachdem ich eincheckte und mein 6 qm großes Zimmer bezog, kam mir kurz der Gedanke, Jenny was hast Du nur getan…warum musst Du immer jeden Mist ausprobieren. Aber viel Zeit zum Nachdenken gab es nicht, wir waren ja nicht zum Spaß da. Die Neulinge bekamen eine Hausführung und die Hausregeln erklärt. Der Sevaka, so nennt man die Bewohner eines Ashrams, war total nett und beantwortete uns alle Fragen. Danach ging es dann auch zum ersten Satsang. Beim Satsang kommen alle aus dem Ashram (Bewohner, wie auch Seminarteilnehmer) in einem großen Zelt zusammen und singen 1-2 Stunden lang Mantras. Es werden Musikinstrumente verteilt, manche tanzen. Es ist auf jeden Fall ein Erlebnis.

Das Schweigen beginnt

Dann folgte das, wofür ich eigentlich hingekommen war: Das Schweigen begann. Die Seminarleiterin erklärte uns, was Schweigen bedeutet: Es ist nicht nur ein nicht Reden, sondern auch keinen Augenkontakt aufnehmen und keine nonverbale Kommunikation. Und ja, auch WhatsApp ist Kommunikation und somit nicht erlaubt. Das war aber sowieso kein Problem, da der Handyempfang gleich null war und WLAN gibt es im Ashram nicht, man soll ja bei sich sein.

Ich klemmte mein Schweigeschild an meine Jacke und los ging meine Achterbahn der Gefühle.

Ein typischer Morgen in einem Ashram

Der Tag in so einem Ashram beginnt früh. Um 6 Uhr saß ich beim Devi Puja. Devi Puja ist eine Verehrungszeremonie für die göttliche Mutter. Es soll wohl auch die weibliche Energie in einem stärken. Kann ja nicht schaden, dachte ich mir. Der Sevaka, der diese Zeremonie durchführte, tat dies voller Hingabe. Ich wusste nicht was ich zu tun hatte und machte einfach alles nach, was die anderen Teilnehmerinnen machten. Es war wirklich spannend zu sehen und definitiv ein Erlebnis.

Dann folgte um 7 Uhr mein erster Endgegner: Eine Stunde stille Meditation. Puh ich kann euch sagen, da kommen Gedanken auf, an die man seit Jahren nicht mehr gedacht hat. Situationen aus der Schulzeit, Kindheitserinnerungen und nach 25 Minuten Sitzen auch die Lendenwirbelsäule. Deshalb war ich auch froh, als es nach 30 Minuten hieß, man kann nun in eine Gehmeditation wechseln. Bei einer Gehmeditation, wie der Name schon sagt, geht man mit gesenktem Kopf äußerst langsam durch den Raum und spürt achtsam in jeden Schritt. Nach 5 Minuten gehen, setzte man sich wieder hin und es gab noch eine geführte Meditation durch den Sevaka.

Um 8 gab es auch wieder den morgendlichen Satsang, nicht ganz so dynamisch wie abends. Der findige Leser wird sich nun die Frage stellen: Singen und Schweigen ist das erlaubt? Ja, angeblich soll der Satsang Gefühle und Emotionen freisetzen und lösen. Ich kann euch sagen, das kann man beim Schweigen irgendwann gebrauchen. So langsam machte sich Hunger in meinem Körper breit und auch ein kleiner Kaffeedurst meldete sich zu Wort. Ich schaute auf die Zeittafel und stellte fest, ja hier wird 16h gefastet, Mittagessen gibt es dann um 12 Uhr. Also mussten drei Bananen erst mal herhalten. Ebenso wird in einem Ashram auf alle Genussmittel verzichtet, bedeutet kein Alkohol, keine Zigaretten, keine Drogen und kein Kaffee. Jap, Askese in jeglicher Hinsicht.

Kampf der Titanen

Nach der ersten morgendlichen Yogastunde und bereits zwölf Stunden Schweigen meldete sich zum ersten Mal die Gedanken zum Schweigen. Mein Kopf überlegte sich wirklich alle zwei Minuten ein neues Argument, warum das mit dem Schweigen eine ganz blöde Idee ist und warum wir das Ganze hier abbrechen sollten. Mein Kopf brachte wirklich gut fundierte Argumente vor, aber mein Ehrgeiz brachte es nicht übers Herz abzubrechen. Dennoch: Mein Kopf hörte nicht auf. Alles in mir wollte sprechen, mit anderen Menschen interagieren und meinen Lieben daheim erzählen, was hier alles passiert. Deshalb nahm ich, als es endlich Essen gab, mein Schweigeschild ab. Ich ging ans Buffet und dachte mir, egal, dann rede ich halt wieder. Aber beim Essen kämpften mein Ehrgeiz und mein Kopf wie zwei Wölfe in meiner Brust. Der Ehrgeiz siegte und das Schweigeschild kam wieder an die Jacke.

Die zwei größten Erkenntnisse des Schweigens

Ich kann euch sagen, mit 10 Menschen am Mittagstisch zu sitzen, die alle reden undDu sitzt da und schweigst, ist schon ein komisches Gefühl. Hier muss man anmerken, dort schweigen nicht alle, nur die Teilnehmer die meinen Kurs gebucht hatten. Ich kam mir wie in einem Paralleluniversum vor, bei dem ich alle sehen kann, ich aber für die anderen Menschen unsichtbar bin. Da kam meine erste große Erkenntnis für mich: Meine Sprache bedeutet für mich Sichtbarkeit. Sichtbarkeit im Sinne von, präsent zu sein, von anderen wahrgenommen zu werden. Durch das Schweigen hatte ich das Gefühl diese Sichtbarkeit verloren zu haben. Diese Erkenntnis ist für mich sehr wertvoll. 

Um von den ganzen Versuchungen zu entkommen, nutzte ich die Mittagspause für einen kleinen Spaziergang. Ich nahm alles so viel stärker wahr. Keine Ablenkung durch Gespräche, Handy oder andere Menschen. Nur der Wald und ich. 

Hier kam die zweite wichtige Erkenntnis: Je länger ich schwieg und allen externen Einflüssen entsagte kehrte Ruhe in mir ein. Eine Ruhe, die ich kaum kenne. Denn niemand erzählte mir von seinen Problemen und Sorgen, die Nachrichten aus der Welt waren weit weg und es gab für diesen Moment nichts mehr zu tun. Keine Aufgabe, die noch erledigt werden musste. Es war wie ein Reset für den Kopf. Das war der Moment, als ich in der Stille angekommen war. Dafür brauchte es fast zwanzig Stunden. Aber ab da begann ich es zu genießen. Der Ablauf am Nachmittag war der gleiche wie am Morgen: Ein Vortrag über die Selbstliebe, Meditation, Yoga, singen. Ich fiel am Abend völligst erschöpft um halb neun ins Bett und schlummerte selig ein.

Das Schweigenbrechen

Der Sonntag startete genauso wie der Samstag, nur schenkte ich mir das Devi Puja, denn die Müdigkeit besiegte die weibliche Energie ;). Also meditierte ich wieder, der Satsang folgte und dann kam das Schweigenbrechen. Nach 36 Stunden durften wir wieder reden. Ich hatte mir häufiger die Frage gestellt, was wohl mein erster Satz sein wird. „Kannst Du mir bitte mal Deinen Stift leihen“ war nicht dabei :D. Es folgte nun wieder ein Vortrag, endlich konnten wir Fragen zum Gehörten stellen.

Alles in allem war es eine sehr bereichernde Erfahrung. Zwar lag diese weit außerhalb meiner Komfortzone, aber ich konnte für mich so viel mitnehmen. Das Ashram kann ich wirklich sehr empfehlen. Die Menschen sind alle wirklich nett, das Essen ist der Hammer und die Umgebung ist sehr schön, um Erholung zu finden. Ich füge noch einen Link zum Ashram ein, falls ihr auf den Geschmack gekommen seid. 

Danke, dass ihr bis hierhin gelesen habt. Lasst gerne einen Kommentar da, wenn ihr Fragen zu meiner Erfahrung habt, oder euch der Artikel gefallen hat.

In diesem Sinne Namaste

Eure Jenny

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Sebastian

    Ein sehr toller Bericht über eine bestimmt sehr sehr nachdrücklich Erfahrung. Vielen Dank, dass du das gemacht hast und mit uns teilst.

  2. Sandra

    WoW – eine ganz eigene Welt und Erfahrung. Wunderbar das du es mit uns teilst

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